Jacob Bausum, Heiner van Mil, Andrea Basedow, Eva-Maria Hoffart

Einleitung/Definition

Die Traumapädagogik ist eine vergleichsweise junge Fachrichtung, deren Zielsetzung es ist, junge Menschen pädagogisch gut zu versorgen und zu fördern, die in ihrer Vergangenheit hohen Belastungen ausgesetzt waren und in ihrem aktuellen Erleben und Verhalten stark hierunter leiden. Sie wurde ab Ende der 1990er-Jahre aus der Praxis heraus entwickelt und nahm dabei insbesondere Herausforderungen zum Ausgangspunkt, mit denen sich Fachkräfte im Alltag der Sozialen Arbeit (im Besonderen der Kinder- und Jugendhilfe) konfrontiert sehen (Weiß, 2016). Dabei entstand die Traumapädagogik nicht aus einem theoretischen Vakuum heraus. Vielmehr bezieht sie sich auf eine Vielzahl von Theorien und Konzepten, wie z.B. Psychotraumatologie, Bindungstheorie, Psychoanalytische Pädagogik, Heilpädagogik, Resilienzforschung, verschiedene reformpädagogische Ansätze. Sie bringt diese miteinander in Verbindung und entwickelt davon ausgehend sinnvolle Handlungskonzepte und Standards für die praktische Arbeit mit belasteten jungen Menschen (Weiß, 2013). „Traumapädagogik ist somit keine kleine Nische der ‚normalen Pädagogik‘. Traumapädagogik umfasst Erkenntnisse aus vielen verschiedenen Disziplinen und findet eine gute Sprache und wissenschaftliche neurobiologische Begründung für viele klassische Konzepte der Milieutherapie/Heimerziehung“ (Schmid, 2013, S. 63).

Anders ausgedrückt kann die Traumapädagogik als eine Landkarte verstanden werden, welche wissenschaftliche Informationen für die Praxis aufbereitet und hilft, pädagogische Wege im Alltag besser beschreiten zu können. Dieses Bild macht zudem deutlich, dass es nicht ausreicht, lediglich die Landkarte lesen zu können. Es braucht den Transfer ins Gelände, insbesondere in Form von Haltung, Erfahrung, Sich-Einlassen und praktischem Gespür. Umgekehrt speist die traumapädagogische Praxis wiederum das fachlich-wissenschaftliche Fundament. Wichtige Erkenntnisse und Erfahrungswerte aus der traumapädagogischen Praxis werden, z.B. im Rahmen von Forschungsprojekten, in die Theorie und damit in die traumapädagogische Lehre an Weiterbildungsinstituten, Hoch-/Fachschulen etc. zurückgegeben (Schröder et al., i.V.).

Traumapädagogik will ausdrücklich nicht „Probleme vorschnell auf eine Traumatisierung zurückführen. […] Wenngleich die traumapädagogischen Konzepte das Fachwissen um die Entstehung und Auswirkungen von traumatischen Erfahrungen stark beleuchten, steht jedoch die ressourcen- und lösungsorientierte pädagogische Arbeit im Vordergrund“ (Schirmer, 2012, S. 92). Es kann somit festgehalten werden, dass die meisten Inhalte dieser Fachrichtung zum einen bereits bewährt sind und vor allem auch für nicht-traumatisierte junge Menschen eine Hilfe sein können (van Mil, 2018). Weiß formuliert dazu pointiert: „Traumapädagogik wirkt und obwohl sie für traumatisierte Mädchen und Jungen entwickelt wurde, sind die Inhalte und Methoden eine wertvolle Ergänzung für Elementarpädagogik, Integrationspädagogik, Bildungsarbeit und vieles andere mehr“ (Weiß, 2013, S. 42).


Entstehungsgeschichte der Traumapädagogik

Die Pädagogik der Nachkriegszeit im deutschsprachigen Raum, insbesondere in den Einrichtungen der stationären Jugendhilfe, war geprägt von Autorität, Abwertung, Erniedrigung, Vernachlässigung und Gewalt. Diese menschenfeindliche Dynamik war sowohl in den organisatorischen Strukturen als auch in der Haltung des pädagogischen Personals und somit allgegenwärtig in der konkreten praktischen alltäglichen Arbeit sichtbar und spürbar. Im Kontext eines von der deutschen Bundesregierung in Auftrag gegebenen Aufarbeitungsprozesses formuliert Kappeler dazu eindrücklich: „Nach zwei Jahren Arbeit hat der Runde Tisch Heimerziehung (RTH) in seinem Abschlussbericht (AB) dokumentiert, dass Kindern und Jugendlichen, die in den vierziger bis siebziger Jahren in Heimen der Jugendfürsorge leben mussten, das radikal Böse [i.S. Hannah Arendts] angetan wurde, wenn man darunter Handlungen und Verhältnisse versteht, die mit Gewalt und Zwang die ihnen Unterworfenen an Leib und Seele existenziell schädigen“ (Kappeler, 2011, S. 3).

Die öffentliche Auseinandersetzung mit diesen Missständen fand jedoch bereits deutlich früher in Teilen der Zivilgesellschaft statt, beispielsweise durch die journalistische Arbeit von Ulrike Meinhof (1971) oder im Rahmen der sogenannten „Heimkampagne“ (1969) im hessischen Jugendheim Staffelberg von Pädagogikstudent:innen und Mitgliedern der Außerparlamentarischen Opposition (*Oberhessische Presse vom 19.03.*2019). Diese Impulse hatten vielfältige Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Pädagogik bzw. der Jugendhilfe. Jugendliche wurden aus Heimen befreit und in privaten Wohnungen und Wohngemeinschaften untergebracht, es wurden Kleinsteinrichtungen und pädagogische Vereine gegründet, die alternative pädagogische Konzepte entwickelten und erprobten. Große, etablierte Träger, staatliche wie kirchliche, veränderten dadurch langsam ihre repressiven Konzepte. Durch diese und weitere Ereignisse wurden wichtige Veränderungen in Gang gesetzt, die teils bis heute andauern und sich auch in der Gesetzgebung wiederfinden (zuletzt u.a. 2021 in den Vorgaben zum verstärkten Kinderschutz im Kinder- und Jugendstärkungsgesetz).

Die unterschiedlichen und vielfältigen Strömungen der Heimreform bewirkten letztlich eine erweiterte Professionalisierung der Sozialarbeit und Sozialpädagogik, etwa durch die Gründung von Fachhochschulen für Sozialpädagogik (ab 1971). Nach und nach entstand eine vielfältige und flexible Jugendhilfelandschaft, die bis heute Bestand hat und sich stetig weiterentwickelt (Günder & Nowacki, 2021).

Die Enttabuisierung sexualisierter Gewalt und deren Folgen, maßgeblich durch die Frauenbewegung, führte zu einer deutlichen Fokussierung bzw. einem Transfer psychotraumatologischer Themen in die Handlungsfelder der Sozialen Arbeit. Hier können beispielhaft das Beschreiben und Einordnen dissoziativer Phänomene sowie der Dynamik von Triggern und Flashbacks genannt werden (z.B. Weiß, 1996). Es entstanden Beratungsstellen wie beispielsweise Zartbitter e.V. in Köln und Wildwasser e.V. in Berlin, zudem wurde eine Vielzahl an Fachpublikationen zur Thematik veröffentlicht (z.B. Enders, 2001). In diesem Zug erhielten Themen wie Kinderschutz und Gewaltprävention zunehmend Einzug in pädagogische Ausbildungen und Praxiskonzepte.

Wie eingangs erwähnt, fanden neben der Psychotraumatologie auch zahlreiche weitere Konzepte und Theorien Einzug in die Entwicklung der Traumapädagogik. Hinsichtlich der normativen Ausrichtung der entstehenden Fachrichtung spielten dabei die emanzipatorischen Einflüsse (u.a. August Aichhorn, Paolo Freire und Bruno Bettelheim) eine besonders gewichtige Rolle, „weil im Zentrum ihrer Praxis und Theorie das Ziel steht, benachteiligte, auch traumatisierte Menschen auf ihrem Weg von einem Objektstatus – Objekt der Erwachsenen, Objekt der Herrschenden, Objekt der strukturellen Gewalt – zum Subjekt-Sein, zur Selbstbemächtigung zu begleiten“ (Weiß, 2016, S. 22).

In den 1990er-Jahren tauchte der Begriff „Traumapädagogik“ an unterschiedlichen Stellen auf. In den 2000er-Jahren entwickelten sich dann an mehreren Orten erste explizit traumapädagogische Ansätze und Konzepte: